Lorenz Borsche: Internet-Kritik

INTERNET-KRITIK
(Von Surfern, Egomanen und den neuen Telefontarifen)

I: Der Puma

'Uihh', ich hab jetzt auch Internet', sagte neulich mein Putzmann (joh, man muß mit der Zeit gehen und die verlangt, der Gerechtigkeit halber und zum Ausgleich, nach etwas Maskulismus) und schaute mich erwartungsvoll an. Was er erwartete, weiß ich bis heute nicht. Vielleicht, daß ich, als EDV-Profi, der immer noch keine E-Mail-Adresse hat, jetzt vor Gram aus dem Fenster springe. Oder ihn, den Amateur, bewundernd anschaue. Oder so. Mir aber war anders zumute: 'Und?', fragte ich zurück, 'Wie isses'? ' Äähhm, also, das ist wie Kabelfernseh'n mit 136 Kanälen, und Du bist nur am rumzappen', war die ehrliche Antwort. 'Ja, was hast Du denn gesehen?', fragte ich zurück. 'Naja, eben schaust Du noch, was in München im Kino läuft, und dann hast Du plötzlich das Vorlesungsverzeichnis von irgendeiner kleinen Universität im Mittleren Westen in Amerika auf dem Bildschirm, total interessant!' Wozu man wissen sollte, daß das Gespräch in Heidelberg stattfand und mein Puma nicht vorhat, in nächster Zeit nach München oder gar in den mittleren Westen zu reisen. Genausogut hätte ich mir, virtuell natürlich, ein Kinoprogramm für München ausdenken können, oder auch den Stundenplan für die Klein-Uni: Mittwoch 11-13 Uhr: Virtual Reality - Über den Einfluß der MedienUnwirklichkeit auf die soziokulturelle Kommunikationsfähigkeit des Individuums. Solange ich nicht wirklich dort bin, ist es ja nun völlig unerheblich, ob der Plan stimmt oder nicht.

II: Didi

Samstag drauf klingelte das Telefon. Mein Ex-Arbeitgeber und Ist-Kollege, ein EDV-Dienstleister und alter Computer-Hase, klang ziemlich deprimiert, fast verzweifelt. 'Eben war ich zwei Stunden im Internet, wir haben nämlich jetzt auch eine Homepage, Lorenz, sag' mir doch bitte, was ich da soll, wofür das gut ist, ich fühl' mich ganz leer im Kopf! Überall bin ich rumgesaust, aber ich weiß immer noch nicht, welchen Sinn das Ganze eigentlich hat'. Nach kurzem Disput waren wir uns sehr einig: eine medienwirksam aufgebauschte Nullnummer, die vom Steuerzahler, also uns, finanziert wird. Eine Wundertüte für Politiker und Journalisten, die uns das Internet als Allheilmittel für alle Wehwehchen verkaufen wollen, unter denen unsere Gesellschaft leidet: Arbeitslosigkeit, Sinnkrise, kollabierende Märkte und zu allem Überfluß auch noch Erklärungsnotstände auf allen Ebenen. Dank Internet werden wir, so versucht man uns zu überzeugen, Millionen neuer Arbeitsplätze zu Hause schaffen und die Märkte ankurbeln. Bei Erklärungsnotständen schicken wir Agenten los, kleine selbstständig arbeitenden Suchprogramme, die werden schon was finden, und die Sinnkrise wird mit der gigantischen Informationsflut einfach zugeschüttet. Das alles erinnert mich fatal an die Zeit, als die Atomkraft zum Wunderheilmittel verklärt wurde. Das ging ja so weit, daß 1959 im Godesberger Programm der SPD das Automobil mit Atomantrieb für jeden Arbeiter gefordert wurde!

III: Hoffnung, Ernüchterung, Enttäuschung

Eine Branchenzeitschrift bittet mich um einen Fachartikel zu EDV-Systemen. Ausnahmsweise werde ich rechtzeitig fertig. Nun möchte ich, dem Redakteur zu Gefallen, den Text nicht per Fax oder Brief versenden - dann müßte dieser ja wieder gesetzt, sprich abgetippt, werden, sondern elektronisch. Diskette wäre einfach und dauert einen, allenfalls zwei Tage, aber der Herr Redakteur hat ja neuerdings E-Mail! Wir einigen uns auf das Text-Format (WinWord), ich packe meine Dateien auf eine Diskette und begebe mich zu einem Freund mit Internet-Anschluß. Es dauert nur wenig mehr als eine halbe Stunde, bis wir die 30 kB-Datei an die kurze Mitteilung, nämlich: daß jetzt eine Winword-Datei kommt, angehängt und verschickt haben - das Gerede vom Stau auf dem Datenhighway hat leider einen realen Hintergrund. Und einfach ist es natürlich auch nicht, denn zuerst mal müssen wir die Datei kodieren (U-Encoding), damit sie zusammen mit der ASCII-Mitteilung verschickt werden kann. Danach erfreuen wir uns mal wieder am reibungslosen Zusammenarbeiten verschiedener Computerkomponenten (5 Abstürze beim Versuch, ein mit dem HP-Drucker-Fax gescanntes Photo mit 4 verschiedenen Programmen weiterzuverarbeiten) und hüpfen ein wenig durch's Internet, aber davon später. Ich bringe die Mühle beim Herumbrausen öfter zum Stillstand, und erfahre dabei über's Internet, was ich schon immer geahnt habe - auch davon später. Am nächsten Tag ruft mich der Herr Redakteur an: Die Mitteilung ist angekommen, prima, aber leider kann er den kryptischen Kram hintendran (die U-kodierte Word-Datei) überhaupt nicht lesen. Er geht über T-Online rein, aber ob sein Browser über einen U-Decoder verfügt, weiß er nicht, und auch nicht, wie er's rauskriegen soll. Das verstehe ich - gerade als EDV-Profi - sehr gut. Also tüte ich meine Diskette ein und schicke sie ihm per 'Schnecken'post. Es dauert einen Tag, aber es klappt!

IV: Infomanie

Für 9 von 10 Anwendern ist das Internet ein Spielzeug, die virtuell endlose Fortsetzung der Computerspielerei, die ja schon immer die Fortsetzung des präpubertären Modelleisenbahnspielens für Erwachsene war. Haben Sie sich schon mal gewundert, daß ihre Freunde stundenlang vor'm Monitor... wetten, daß die genauso enthusiastische Modelleisenbahner sein könnten? Für Ehen oder andere Paarbeziehungen ist beides gleich schädlich - wobei ein Computer allerdings erheblich weniger Platz braucht als eine Modellbahn. Und natürlich den Vorteil hat, daß man das Kindisch-Spielerische daran nicht sofort erkennt - gilt er doch als ernsthaftes Werkzeug und nicht als reine Unterhaltungskiste für Leute, die anders nicht mehr kommunizieren können. Und die ihr Selbstwertgefühl daraus gewinnen. daß es ihnen gelungen ist, völlig überflüssige, aber dafür hochauflösende, geographische Karten in Megabytegröße über den Rechner in Sri Lanka doppelt so schnell runterzuladen, wie über London! Und die glücklich sind, wenn sie einem alles über U-Decoding erzählen dürfen.

V: Besoffene und die schnöde Wirklichkeit

Noch nie konnten Nachrichten schneller verbreitet werden, als über´s Internet. Journalisten müssten deshalb, schon von Berufs wegen, vor Begeisterung besoffen sein - und die meisten sind es auch, könnte man meinen. Vielleicht aber schweigen die anderen nur, weil sie zwar ahnen, daß das Internet ein riesiger Medienschwindel ist, sich aber zu wenig auskennen und sich deshalb nicht trauen, ihre Meinung öffentlich zu äußern. Wenn sie nur mal 'reinsähen, sie würden ihre tiefsten Befürchtungen bestätigt sehen:

KÖLN: Allgemeines / Kultur / Stadtinfo ... Ich entscheide mich für Allgemeines. Während ich die Liste der Einträge runterbrause - das sieht aus hier wie ein Branchenverzeichnis - bleibe ich am Wort CHAOS hängen. Da gibt es eine Gruppe Chaosforscher, und die residieren in diversen Universitätsinstituten, aha. Was sie so genau machen, steht da nicht, aber einer der Aktivisten heißt Alfred Algenwald und man kann ihn anklicken. Und schon kriegt man seine Homepage. Da steht, wie alt er ist, was er schon alles geforscht und publiziert hat, mit wem er enger zusammenarbeitet und auch, was - über das Chaos hinaus - seine Vorlieben sind: Unter Musik stehen Komponisten, die mir völlig unbekannt sind, aber sehr avantgardistisch klingen: Heinar E.-B. Muller-Rasinovich etc. pp, ich fühle mich mal wieder ungebildet und lese schnell weiter. Unter 'Interesse' - früher nannte man das Hobby - finde ich den Eintrag: Kinetische Kunst (zusammen mit Hans Hühnerbein in Hamburg). Oh je, schon wieder einer, der mir, nur mühsam kaschiert, seine Einmaligkeit unter die Nase reibt, mir klarmacht, daß er a) ein umfassend gebildeter Mensch, b) nonkonformistischer Zeitgenosse und c) selbst praktizierender Künstler ist, was er uns - völlig unaufdringlich - durch das 'zusammen mit ...' unterjubelt.

Ich klicke auf 'Bild', warte brav meine Internet-Gedenk-Minuten ab - und habe genau das pickelige Milchbubigesicht vor mir, das unweigerlich in meinen schlimmsten Steuerzahleralbträumen auftaucht und mit Unschuldsmiene meine sauer verdienten Taler zum Fenster rauswirft. Fakt ist: Ich zahle via Bafög und Wissenschaftsförderung Herrn Algenwalds esoterische Forschungen, na gut. Ich zahle, ebenfalls mit meinen Steuergeldern, auch das (ehemals rein wissenschaftlich genutzte) Internet. Und natürlich den Unirechner, auf dem Herr Algenwald seine Homepage installiert hat. Nur um lesen zu müssen, daß er vermeint, ein Kinetischer Künstler zu sein (bin ich auch - haben Sie mich neulich bei Glatteis gesehen?).

Das alles erinnert mich stark an die 80er Jahre, als wir mit Home-Computern, dem Commodore 64 oder dem Schneider CPC, und Akustikkopplern, die man über den Telefonhörer stülpte, Mailboxen betrieben und benutzt haben. Was es damals gab, gibt´s heute noch genauso, nur viel bunter: Jede Menge Fachsimpelei, vor allem über Computerprobleme (die wir ohne Computer nicht hätten), Fragen und Antworten, wie man am besten von A nach B kommt (damals zum Beispiel, wie man Verbindung zur 1st National Bank in Chicago aufnimmt, und zwar umsonst) und - teilweise schmierige - Bildchen. Nach einem halben Jahr 'Surfen' in dutzenden Mailboxen in Deutschland und Amerika wurde es mir langweilig, und daran hat sich prinzipiell nichts geändert.

Ich habe dann noch das Kölner Kino-Programm angeschaut, nur mal so. Es wäre schneller gewesen, die Kino-Ansage abzuhören. Dann wollte ich noch sehen, ob ich endlich den alten Film mit Trevor Howard in der Hauptrolle finden kann, den ich vor Jahren mal gesehen habe, aber das Verzeichnis der 'actors/actresses' auf dem Rechner in Hollywood kennt keinen Trevor Howard, ist ja auch ein Brite... Und beim Hochladen von Bildern ist mir dann auch noch die Mühle abgekackt, es reicht. Das Internet ist ein Spielplatz für Info-Süchtige, Egomanen und Quasselstrippen, ein bißchen wie damals - erinnern Sie sich noch? - der CB-Funk.

VI: Wofür das Netz wirklich gut ist und was die Telefongebühren damit zu tun haben

Und dabei gibt es zwei 'Verdienste' des Netzes, für die wir einmal dankbar sein werden: Das ist zum einen HTMLx, die weltumspannende, gemeinsame Dokumenten-Layout-Sprache. Im Jahr 2000&x werden alle Text-, Tabellen-, Graphik- und Layoutprogramme HTML lesen und schreiben können, und wir können endlich ohne Probleme Dokumente austauschen und weiterverarbeiten, sogar zwischen verschiedenen Rechnerwelten, und ohne, daß Bill Gates uns dazwischenfunkt. Und zum anderen die allgemeine, gleiche, gemeinsame Mailbox für Faxe, Daten, Dokumente. Anders als beim PapierFax ist dort nie besetzt und Nachrichten werden solange aufgehoben, bis sie gelesen werden, d.h. ich entscheide, wann ich meinen Rechner an- und damit den Postkasten aufmache. Und neben Texten, die, anders als beim PapierFax, dann auch weiterverarbeitbar sind, kann ich Bilder, Daten und Programme schicken - wenn die BROWSER so funktionieren, daß auch Laien damit umgehen können. Denn das muß erst noch geleistet werden: eine simple, einheitliche Zugangssoftware nach dem Motto: What do you want to do today? Während man früher wissen mußte, ob zwischen Compuserve und MCI-Mail oder dem GEO-Netz ein Übergang möglich war, und vor allem wie, hängen wir morgen, egal über welchen Zugang, alle gemeinsam im Internet. Und wenn ich tatsächlich mal den Busfahrplan oder eine Zugauskunft brauche, dann könnte das über's Internet möglicherweise bequem zu ermitteln sein... zu Gunsten der Deutschen Telekom natürlich, oder hat irgendjemand noch nicht kapiert, weshalb die Tarife ganz plötzlich so umstrukturiert wurden? Eines aber wird es sicher auch in Zukunft nicht geben: Wirklich wertvolle Informationen umsonst! Warum sollte man verschenken, was man auch verkaufen kann?