PISA reloaded: Was Hänschen nicht lernt...

PISA reloaded - ein Essay [Mai 2006]

Update: Jetzt hat es sogar Berlin begriffen.... ;-)  Aus dem Online-SPIEGEL:

Dienstag, 11. Juli 2006

INTEGRATION

Regierung will Deutschkurse für Ausländer schon im Kindergarten

Kurz vor dem Integrationsgipfel im Kanzleramt hat das Bundeskabinett Pläne zur besseren Eingliederung von ausländischen Kindern: Sie sollen die deutsche Sprache bereits im Kindergarten erlernen. Eine entsprechende Erklärung solle morgen beschlossen werden, heißt es in einem Zeitungsbericht. mehr...


Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nur noch schwer

Als vor fünf Jahren der PISA-Schock über Deutschland hereinbrach, da durften die Bildungsforscher noch ungeniert behaupten, die "deutschen Schüler" seien schlecht und die Lehrer seien daran schuld: "Die systematische Professionalisierung der Lehrer ist der Schlüssel", formulierte diplomatisch, aber deutlich Professor Baumert, der als oberster Bildungsforscher mit seiner Truppe am Max-Plank-Institut in Berlin die Daten für Deutschland auswertete.

Dabei gab es hinreichend viele Hinweise, daß weder Lehrer noch pädagogische Konzepte maßgeblichen Einfluss auf PISA-Ergebnisse haben, andere Faktoren hingegen sehr. Zum Beispiel gibt es überhaupt keinen statistischen Zusammenhang zwischen der Frage, wieviel Geld man für Bildung ausgibt und den Erfolgen, die man damit erzielt. Die Tschechei erreicht einen etwas besseren PISA-Wert als die USA - gibt aber noch nicht mal ein Drittel soviel Geld dafür aus - und die Tabelle ist auf tatsächliche Kaufkraft umgerechnet. Und das ist beim innereuropäischen Vergleich Irland mit Österreich nicht anders: Die Iren schlagen die Österreicher knapp bei PISA, geben aber kaum 30% dafür aus. Das riecht nach guten Argumenten, die Bildungsetats nicht mit der Geld-Giesskanne zu bewässern, sondern die Bildung für gleiches Geld erstmal effizienter zu machen, also von den Tschechen und Iren zu lernen - oder von der alten DDR, denn PISA-Sieger Finnland hat vor vielen Jahren das Vorschulsystem eben jener DDR kopiert - warum wohl?

Den allerwichtigsten Faktor aber, die allübergreifende intervenierende Variable, die die PISA-Ergebnisse nahezu perfekt erklärt, die hat man damals auf Seite 348 der PISA-Studie° versteckt, in zwei großen unübersichtlichen Tabellen, wenige Seiten vor Schluß, denn sie hat kaum etwas mit Schule oder Lehrern zu tun. Und man hat keine Schlüsse aus den Werten in dieser Tabelle gezogen, sie pauschal nur so kommentiert: "Die in Deutschland anzutreffenden Familienmuster sind im Vergleich zu ...OECD Ländern weitgehend unauffällig [...] Dies gilt für den sozioökonomischen Status [... etc.]".

Das nun ist schlicht und einfach falsch. Man könnte auch sagen: gelogen, denn da wird wissentlich Falsches behauptet. Warum ist man damit durchgekommen? Nun, weil ein falscher roter Faden unsere jüngste Geschichte durchzieht: Minderheiten (hier: Ausländer) sind per se gute Menschen und dürfen nicht kritisiert werden. Never ever. Wenn man ihnen bestimmte 'gute' Leistungen zusprechen kann, dann ist das toll und muss hervorgehoben werden. Wenn man aber auf irgendeinem Feld Minderleistung, egal aus welchem Grund, feststellen muss, dann sind das bösartige, rassistische Unterstellungen. So etwas nennt man 'political correctness', und sie wird - aufgrund der jüngeren deutschen Historie - insbesondere hierzulande nur höchst ungern verletzt.

Die PISA-Ergebnisse hätte man nämlich auf folgenden Satz verkürzen können: "Sage mir, wieviele Migrantenkinder Du hast und vor allem, aus welchem Milieu deren Eltern kommen, welchen Beruf und welche Ausbildung sie mitbringen - und ich sage dir Deinen PISA-Wert voraus." Der musste so in Deutschland schlecht werden, aber das hätte populistisch verkürzt natürlich leicht zu einem "Die-Ausländer-sind-schuld" Ressentiment geführt - und da ist es doch viel leichter die üblichen Verdächtigen zu beschuldigen: die angeblich sowieso faulen Lehrer und die angeblich verfehlte und kaputtgesparte Bildungspolitik. Anstatt zu erklären, wo der Hase im Pfeffer liegt (der mitgebrachte Sozialstatus), daß die Migranten selbst nichts dafür können, und man kurzfristig auch gar nichts daran ändern kann. Weil dem ein mächtiger soziodemokratischer Faktor entgegensteht.

Die Wahrheit ist: Die Leistungen der europäischen Schüler, deren Eltern und Großeltern im eigenen Land geboren sind, sind statistisch genauso ununterscheidbar, wie die Verteilung ihrer Familien auf der sozialen Leiter bzw. deren Durchschnitt: Im Mittel gibt es in Deutschland, Frankreich, England jeweils vergleichbar viele Angehörige der Unter-, Mittel- und Oberschicht, der sozioökonomische Index (ISEI) liegt im Mittel bei denselben ca. 45 Punkten. Und wenn Einwanderer auch diesen Durchschnitts-ISEI aufweisen, dann erreichen deren Kinder und Kindeskinder auch genau vergleichbare PISA-Werte, denn, und das ist unter Bildungsforschern völlig unbestritten: Nicht im Einzelfall, aber im Durchschnitt erbringen Kindern Schulleistungen, die dem Sozialstatus ihrer Eltern entsprechen, das Elternhaus ist die wichtigste Einflussgröße bei der späteren Schulleistung - wie gesagt: nicht im Einzelfall, da gibt es immer noch "vom Tellerwäscher zum Millionär" - und umgekehrt. Aber in der Masse stimmt es, ob wir das wollen oder nicht.

Und dieser Sozialstatus der Eltern fällt bei der europäischen Migrationsbevölkerung nun deutlich unterschiedlich aus. In England beispielsweise liegt der ISEI der Immigranten 3 Punkte höher als der der indigenen, also englischen Bevölkerung, in anderen Ländern aber sehr viel tiefer. Und es ist ja auch sofort plausibel, daß der Sohn eines ehemaligen kurdischen Ziegenhirten aufgrund der schlechteren Vorbildung seiner Eltern in der Schule weitaus geringere Chancen hat, als der Enkel einer indischen Oberklassenfamilie, die zuhause eh schon englisch sprach, ihren Sohn aufs Internat nach England geschickt hat, damit er anschliessend in Oxford Medizin studierte. Und dessen Sohn heute PISA-Testkind 'mit Mirgationshintergrund', aber prima Ergebnissen ist. Wie gesagt: Das gilt cum grano salis und im Durchschnitt. Ein Oberklassenkind kann genauso scheitern und in der Gosse landen, wie ein Unterschichtskind zum Professor werden kann. Aber über ein Sample von tausenden von Kindern kann man bis auf wenige Prozent genau voraussagen, wie der Durschnittserfolg der ganzen Gruppe sein wird - nämlich so wie der Durchschnitt des Sozialstatus' ihrer Eltern oder Großeltern.

Noch dazu haben die PISA-Länder höchst unterschiedliche Anteile an Migrationsbevölkerung - ein Faktor, der sich bei den getesteten Schülern deshalb verstärkt niederschlägt, weil insbesondere Migranten mit niedrigem ISEI häufig proportional mehr Kinder haben.

Beim PISA-Sieger Finnland liegt der Anteil der Kinder mit Migrationshintergrund klar unter 3%, in Luxemburg - mit dem absolut schlechtesten europäischen Ergebnis noch ganz weit hinter Deutschland - beträgt er fast 50%, da ist jedes zweite Kind ein Nicht-Luxemburger. Diese Kinder kommen aus Familien mit einem ISEI, der fast 8 Punkte unter dem der indigenen Luxemburger liegt. Und so liegt Luxemburg - das pro Kopf reichste europäische Land - mit einem PISA-Wert von 441 nur 30 Punkte über dem des 3. Welt-Landes Mexico, aber fast 60 Punkte unter den Durchschnitts-500. Das 'verheerend schlechte' Deutschland dagegen ist mit 484 nur 16 Punkte von der Norm entfernt.  Luxemburg lkiegt also näher am Ergebnis von Mexico, als an dem seines direkten Nachbarn in Europa. Lamentieren die Luxemburger? Nicht, daß man etwas darüber hätte lesen können. Denn dort weiß man, daß die portugiesischen Mitbürger - es handelt sich überwiegend um eingewanderte Portugiesen - das Land am Laufen halten, ohne die portugiesische Putzfrau und den portugiesischen Hauswart, der früher Campesino oder Landarbeiter war, geht nichts in Luxemburg.

Multipliziert man in allen PISA-Ländern den Anteil der Migrantenkinder mit dem ISEI, dem Sozialstatus ihrer Familien, dann erklärt das die PISA-Ergebnisse zu 85%. D.h.: Schlechte PISA-Ergebnisse korrelieren stark mit hohen Migrantenanteilen, wenn gleichzeitig der mitgebrachte Sozialstatus dieser Migranten niedrig ist, ein hoher ISEI bei Migranten hingegen wird, je nach Größe dieser Gruppe, das Landesergebnis nachhaltig verbessern. Und nur aus diesen beiden Faktoren, Anteil der Gruppe und ihrem ISEI, kann man den PISA-Wert eines Landes mit 85%iger Genauigkeit vorhersagen.

Das hat aber die PISA-Forscher nicht interessiert, denn es hat viel mit restriktiver Einwanderungspolitik, aber wenig mit hochnobler Bildungspolitik zu tun. Stattdessen hat man lieber anderes untersucht. Die viel zu großen Klassen, das sollte doch ... tut es aber leider nicht, im Gegenteil: je größer die Klasse, desto besser der PISA-Wert - damit hatte man nicht gerechnet. Der Effekt ist statistisch unbedeutend, aber die Korrelation eben doch negativ, sehr zum Ärger von Andreas Schleicher, dem OECD-PISA-Organisator, der uns seit über fünf Jahren mit Horrorbildern des deutschen Schul-Unwesens plagt. Und die anderen untersuchten Einflussgrößen waren leider kaum besser: Noch die aussagekräftigste Variable in der PISA-Studie brachte es gerade mal auf magere 17% Erklärungsmacht. Das liegt unter 20%, ein Bereich, den Statistiker abfällig als Grundrauschen bezeichnen: unter 20% gesteht man in der Soziologie keinem Faktor wirklich ernsthafte Erklärungsmacht zu.

Aber wie gesagt: das wollten die PISA-Forscher ja gar nicht wissen, denn wenn das so wäre, wäre ja alles Lamentieren über zu wenig Geld, veraltete Schulbücher, falsche Curricula oder gar das falsche Schulmodell nur schnöder Schein; wenn es die Eltern sind, resp. deren Sozialstatus und Bildungsniveau, das die Schul-Leistungen ihrer Kinder hauptsächlich beeinflusst, dann haben wir ein Problem, das wir mit Bildungspolitik nicht lösen können, nicht wahr?

Israel hat wohl eines der egalitärsten Schulsystem der Welt, da hätte sich sogar Stalins "Ssoffjettunion" noch eine sozialistische Scheibe abschneiden können, natürlich eingliedrig, und zwar bis zum Alter von 16, und mit einem riesigen Katalog an Fördermaßnahmen für Randgruppen und Benachteiligte. Und hat trotzdem gleichartige Probleme, wie die Jüdische Allgemeine im März 2004 feststellt:

"In Israels Erziehungswesen hängen schulische Leistungen noch immer von der ethnischen Zugehörigkeit ab. So fallen die Noten sefardischer Schüler deutlich schlechter aus als die von Aschkenasen. Die Chancen orientalischer Israelis, die Hochschulreife zu erlangen,liegen um ein Sechstel schlechter als die von europäisch-stämmigen. Hauptursache ist das im Durchschnitt niedrigere Bildungsniveau der Eltern - ein Nachteil, den die Schulen nicht auszugleichen vermögen."

Und das "Bildungniveau" der Eltern korreliert halt im Durchschnitt zu fast 100% mit ihrem "Sozialstatus", man kann kaum sagen, was hierHenne und was Ei, was Ursache und was Folge ist. Hat jemand den guten Beruf, weil er eine gute Bildung hat, oder hat er die gute Bildung, weil sein Vater/seine Mutter einen guten Job hatten?  Die Frage aber, ob jemand Bauer oder Hilfsarbeiter WAR, kann man leider nicht beeinflussen - und was aus deren Kindern wird, auch nur schrittweise über viele Generationen hinweg. Würde man heute im Ruhrgebiet alle Schüler mit polnisch klingenden Nachnamen untersuchen, dann dürfte kein PISA-Unterschied mehr feststellbar sein - das wäre vor hundert Jahren, als Unmengen ungelernter polnischer Arbeiter einwanderten, um in den Kohlebergwerken zu arbeiten, sicher noch anders gewesen. Aber soziale Fluktuation braucht vor allem Zeit, sehr viel Zeit - Condoleeza Rice ist der wandelnde Beweis, wieviel Zeit.

Und wenn man schon etwas tun will, dann muss man sicher mit dem Spracherwerb anfangen: ein Kind, das bis zu seinem 6. Lebensjahr nur eine fremde Sprache hört und spricht, kann in der Schule nicht reüssieren. Und alle Gehirnforscher wissen, daß der Spracherwerb zwischen 3 und 6 Jahren stattfindet, vor allem dann, später nur noch schwer und unvollkommen.

Da muss also erstmal so etwas Unpopuläres her wie "Kindergartenpflicht für Migrantenkinder" (besser noch: für alle) - und zwar in einem landesprachlichen, nicht einem fremdsprachlichen Kindergarten. In Hannover haben in den 90er Jahren nur 17% der türkischen Kinder einen deutschen Kindergarten besucht, 83% blieben zuhause bei der Mutter. Und dort wurde natürlich türkisch gesprochen - neben dem niedrigen Bildungsniveau der Eltern ein weiteres PISA-Hindernis für diese Kinder. Und wenn man morgen die Kindergartenpflicht einführte, dann würden die positiven Ergebnisse frühestens in 10-12 Jahre zu sehen sein - wenn aus den jetzt 3-6-Jährigen dann PISA-Kinder geworden sind.

Einfach dieses: "Kindergartenpflicht und abwarten" wäre aber kein guter Ratschlag aus Sicht der Bildungsforscher gewesen, wenn sie denn kontinuierlich weiterforschen wollten. Angst um den Arbeitsplatz gibt es nicht nur am Fliessband, die kennt der Akademiker auch, bei den heute üblichen Zeit- und Werkverträgen erst recht. Und deshalb haben wir 2003 noch eine PISA-Auswertung bekommen, 2004 dann die IGLU-Studie und 2006 wieder mal PISA. Und es stehen immer dieselben Ergebnisse drin, nur anders verpackt, denn was sollte sich in der kurzen Zeit geändert haben? Wird aus einem einfachen Ford-Fliessbandarbeiter, der Landarbeiter war in einem armen anatolischen Dorf hundert Kilometer östlich von Urfa, jetzt plötzlich der Beamte im höheren Dienst mit mittlerer Reife oder gar Abitur? Und warum sollte sein 15-Jähriger Sohn, der 10 Jahre alt war, als sein großer Bruder PISA-gestestet wurden, die deutsche Sprache, den deutschen Bildungskanon plötzlich besser beherrschen als dieser? Er ist mit denselben Eltern aufgewachsen, hat genausowenig den deutschen Kindergarten besucht und spricht natürlich fliessend türkisch, aber deutsch nur ungenügend.

Dank der 'political correctness' konnten sich die PISA-Forscher sicher sein, daß die Politiker sich nicht trauen würden, die falschen Schlüsse aus den PISA-Ergebnissen öffentlich anzuprangern - und haben lauthals weiterhin die bösen Schulen, vor allem auch die Dreigliedrigkeit des Schulsystems verantwortlich gemacht. Aber so ganz liess sich nicht verbergen, was Sache ist, nach einigen Monaten kamen die Politiker aus der Deckung und stellten fest, daß die sehr schlechten Ergebnisse in Bremen und die sehr guten in Bayern seltsamerweise ziemlich genau mit dem Anteil an Migrationsbevölkerung und deren niedrigem ISEI korrellierten. Und kommunizierten das auch vorsichtig. Besonders fördern müsse man die Migrantenkinder, hiess es allerorten. Das ist ja richtig, allerdings muss man es tun, bevor diese Kinder eine Schule überhaupt von innen gesehen haben, sonst ist es zu spät, sprich: man muss ihnen überhaupt erstmal die Sprache beibringen, in der sie später ihren PISA-Test absolvieren sollen.

Nach nunmehr fünf Jahren PISA lässt sich das Debakel nicht mehr ganz verheimlichen - die Migrantenkinder seien schulisch gesehen 3 Jahre zurück, ist der soeben verkündete neue PISA-Schock. Das waren sie zwar 2001 auch schon, bloß sagen wollte man das nicht. Und daß dieser 3-Jahres-Rückstand schon damals ein Hauptfaktor im schlechten deutschen PISA-Ergebnis war, wer kann das heut noch bestreiten? Aber das hat man damals nicht gelten lassen wollen, und jagt dafür heute eine neue Sau durchs Dorf: "Nirgendwo seien die Migrantenkinder sogar der 2. Genration schlechter als bei uns", heisst es. Und wieder wissen die famosen Bildungsforscher sofort, woran das liegt: Am deutschen Schulsystem! Waren noch vor 5 Jahren insgesamt die schlechten Lehrer schuld, heisst es jetzt pauschal, Migranten würden nicht genug gefördert:

"Fazit: Wie kein anderes Schulsystem in 17 untersuchten OECD-Industrieländer versagt das deutsche bei der Förderung von Ausländerkindern." schreibt die Online-WELT am 16.5.2006. Und der SPIEGEL sekundiert am selben Tag:

"Während in Deutschland die Kluft zwischen den einheimischen Schülern und Einwandererkindern am größten ist, lobt die Studie die klassischen Siedlerländer Kanada, Neuseeland und Australien als vorbildlich: Einwandererkinder bringen hier eine vergleichbare Leistung. Die Studie nimmt die drei Länder als Beweis, dass hohe Zuwanderungsquoten nicht notwendigerweise die Integration behindern. Erleichtert wird dies allerdings dadurch, dass die Einwanderer aus sozial höheren Schichten kommen als in den meisten europäischen Ländern."

Was ist beim Lesen des obigen Absatzes hängengeblieben? Genau, Kanada und Neuseeland machen es richtig. Deutschland aber ganz schlecht. Und dann gibt es da noch einen Erleichterungsfaktor, worum ging es da? Naja, egal. Erleichtern heisst ja nicht erklären, oder? Erleichtern klingt vielleicht nach 10% Bonus, aber nicht nach der Ursache des Problems, nicht nach 80% Erklärungsmacht oder mehr, nicht wahr?

Und jetzt schauen wir mal auf die Zahlen: In Neuseeland liegt der ISEI der indigenen Bevölkerung bei 43, also zwei Punkte niedriger als in Europa. Indigen heisst hier eine Mischung aus vor allem angelsächsischer Bevölkerung, die schon sehr lange im Lande ist, und den ca. 10% Maori, die noch viel länger dort siedeln - und dieser letzte Teil der Bevölkerung ist - die politischen Hintergründe sollen hier nicht beleuchtet werden - genau wie die Schwarzen oder Indianer in Amerika traditionell arm und traditionell schlecht gebildet (im klassischen Sinn, nicht was ihre eigene Kultur betrifft), daher der niedrigere Gesamt-ISEI. Nun aber die Einwanderer: 48,6 Punkte im Mittel, über sechs Punkte mehr als die Neuseeländer selbst, und auch drei Punkte mehr als der europäische Durchschnitt! Und diese Migranten-Kinder stellen über ein Drittel, fast 38% der neuseeländischen PISA-Schüler!

D.h.: der relativ gute PISA-Wert Neuseelands (525) wird vor allem von den Einwandererkindern erbracht, deren Eltern aber schon mit einem höheren Sozialstatus und Bildungsniveau in Neuseeland eintreffen, als ihn der Durchschnittseuropäer hat - eine PISA-positive Selektion, die auf den Einwanderungsregeln Neuseelands beruht (Versuchen Sie mal einzuwandern, Sie würden sich wundern, was da verlangt wird).

Und genau diese Kinder vergleichen die Bildungsforscher dann mit unseren Migrantenkindern, deren Familien-ISEI durchschnittlich 3-4 Punkte tiefer liegt, als der der zentraleuropäischen Bevölkerung. Und kommen zu dem Schluss, daß Neuseeland bei der Integration alles richtig macht, weil dort die Migrantenkinder besser sind als der Landesdurchschnitt, und Deutschland alles falsch, weil sie dort schlechter sind. Das ist nicht ungenau, noch nicht mal unfair, sowas kann man nur noch als eine große Lüge bezeichnen.

Noch mal ganz klar: Der Sozialstatus der Einwanderer, der in Neuseeland HÖHER ist als der der indigenen Bevölkerung, erklärt die dortigen guten PISA-Ergebnisse genauso klar, wie das niedrige Bildungsniveau der Migranteneltern bei uns die schlechten begründet. Was oben als 'Erleichterung' abgetan wurde, ist eine handfeste Ursache, an der man so schnell nichts mehr ändern kann, denn die Wurzeln für diese Entwicklung wurden vor 30 bis 40 Jahren gelegt.

Die PISA-Forscher vergleichen aber lustig weiter Äpfel mit Birnen und schieben die gefundenen Unterschiede dem verhassten dreigliedrigen Schulsystem zu.

"Deutlicher wurde [ OECD-Bildungsdirektorin] Ischinger bei der Ursachenbeschreibung: Die Konzentration von Migranten- und Problemkindern in Hauptschulen überfordere die Lehrer [...] Die im weltweiten Vergleich nur noch in Deutschland und Österreich übliche Selektion von gerade mal zehn Jahre alten Schülern auf unterschiedliche Schulformen sei "für Migrantenkinder nicht förderlich". Ischinger - bis vor kurzem noch Professorin an der Berliner Humboldt-Universität - plädierte deutlich für eine längere gemeinsame Grundschulzeit." (DIE WELT.de am 16.5.2006)

Wer so schlampig, um nicht zu sagen, böswillig falsch argumentiert, dem sollte man konsequenterweise jeden akademischen Grad entziehen, denn das ist mindestens so schlimm wie die Fälschungen des erfindungsreichen koreanischen Stammzellenforschers - es wird uns aber viel, viel mehr Geld kosten. Und wer wird das Geld einsammeln? Für noch mehr überflüssige, weil falsche Forschung? Genau diejenigen, die uns diese falschen Ergebnisse bescheren. Denn die Maßnahmen, die jetzt getroffen werden, müssen ja wissenschaftlich begleitet werden, nicht wahr?

Während in klassischen Einwanderungsländern jeder, der dorthin auswandert, nicht nur qualifiziert sein muss, sondern auch vor hat, dort zu bleiben, und schon deshalb versucht, die Landessprache (wenn er sie nicht ohnehin schon beherrscht) und die Kultur anzunehmen, sich zu integrieren, ist das bei unseren Arbeitsimmigranten ganz anders. Wenn ich für fünf oder zehn Jahre nach 'Alemania' gehe, um dort so viel Geld zu verdienen, daß es in Ost-Anatolien für ein gutes Auskommen reicht, dann will ich doch zurückkehren, will und werde meine Familie, meine Sprache und meine Kultur nicht aufgeben. Und diese Einstellung ist ja auch völlig legitim! Daß sie dann doch bleiben würden, damit haben weder sie selbst noch unsere Politiker gerechnet. Daß man sie auf Kindergartenbesuch hätte verpflichten müssen, sobald sie ihre Frauen oder Familien nachziehen, soweit haben unsere unsere Politiker nicht gedacht. Den Scahden haben wir jetzt alle gemeinsam, aber das dreigliedrige Schulsystem hat damit wenig bis nichts zu tun. Ob es aus anderen Gründen ungeeignet ist, ob Kinder nicht besser bis zur 6. Klasse gemeinsam Schule haben sollten, das lässt sich nur schwer beweisen oder widerlegen - unsere Migranten-PISA-Problematik jedenfalls hat damit kaum etwas zu tun, das beweist die israelische Einheitsschule. Und warum sollte ein Gesamtschullehrer mit einem deutsch-radebrechenden Kind weniger überfordert sein als ein Hauptschullehrer? Wie soll ich einem Kind Mathematik beibringen, wenn es mich nicht versteht?

Es ist die Einwanderungspolitik der 60iger bis 90iger Jahre, die uns jetzt auf die Füsse fällt. Von Adenauer über Brandt bis Kohl, von Ford über die Ruhrkohle bis zur BASF, ganz Deutschland wollte möglichst billige Arbeitskräfte haben, Hilfsarbeiter vor allem. Die haben wir bekommen. Und den niedrigen ISEI mit dazu. Kanada, Neuseeland und Australien hingegen verlangten und verlangen neben soliden Kenntnissen der Landessprache mindestens einen Facharbeiterabschluss, wenn man einwandern will. Da kann der ISEI gar nicht mehr unter den Landesdurchschnitt fallen, er kann ihn nur noch heben.

Den Unterschied dieser beiden unterschiedlichen Immigrationspolitiken messen wir heute in PISA-Punkten - nicht weniger, aber auch nicht viel mehr. Wer etwas anders behauptet, lügt sich und uns in die Tasche. Und das wird auffallen. Das war schon bei der ersten PISA-Lüge - "die Deutschen" seien schlecht in der Schule - so. Wie man jetzt verschämt konzedieren muss, indem man die Migrantenkinder als Problemfall entdeckt. Und es wird mit der zweiten PISA-Lüge - die Hauptschule sei schuld - nicht anders gehen. Mal sehen, was den PISA-Forschern zur Erklärung nächstes mal einfällt.

Wenn PISA einen Sinn gehabt haben soll, dann allenfalls diesen:

Wir müssen uns mit der Erkenntnis abfinden, daß wir durch die Arbeitsimmigration zuerst enorme Vorteile hatten, daß es aber nichts umsonst gibt, und wir jetzt mit schlechten PISA-Werten und den späteren Konsequenzen daraus - ja, denken Sie dabei ruhig, oder besser: unruhig! an Ihre Rente - den Preis dafür zahlen. Und wir sollten das eine tun, was wir tun können: dafür sorgen, daß diejenigen, die hier leben wollen, auch unsere Sprache sprechen. Sinnvollerweise bringen wir diese aber gleich den 3-Jährigen bei, denn: "Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr". Naja, sagen wir mal: "... lernt Hans nur noch schwer."

Über den Sinn des Schulsystems oder besser: die Lerninhalte sollten wir auch diskutieren, denn daß sogar Akademiker keinerlei Bezug zur Realität gelernt haben, beweisen die verwirrten PISA-Forscher seit langem. Also: statt nutzloser Differentialgleichungen 2. Ordnung, die kein Mensch im Leben - abgesehen von ein paar tausend Physikern - je braucht, sollte im Matheunterricht besser das Lesen und richtige Interpretieren von Tabellen und Statistiken vermittelt werden - wenn schon die Bildungsforscher an so etwas einfachem scheitern, dann gute Nacht Deutschland.

Lorenz Borsche, Heidelberg, den 16.05.2006

°) Links und Quellen: http://www.borsche.de/pisa/index.html


Reaktionen: Von Menschen und Regenwürmern

[ Zwei Professoren (ein Physiker, ein Mathematiker) haben mir auf die gestrige PISA-Mail geantwortet und eine bekannte Schriftstellerin; ja, der Verteiler war etwas größer ;-) Zustimmend waren alle drei. Der Physiker jedoch hatte Anmerkungen, die ich zum Anlaß nehme, nachzulegen. Das soll's dann aber gewesen sein für diesmal :-]

MS: wieder einmal zu lang und zu viel reingepackt!

Das ist schwer zu widerlegen, zumindest aber war die Schriftstellerin anderer Meinung:

SM:Ich finde deine Essays nie zu lang!

Na dann ;-)))

MS: Zumindest den Seitenhieb auf die Mathe hätteste Dir ersparen können.

Gerade den finde ich nun wichtig. Wenn Du Dich mal fragst, was wir von den in der Schule gelernten Inhalten und Techniken eigentlich verwenden, d.h. später wirklich brauchen können, dann haben wir am einen Ende der Skala Nützliches und am anderen Ende Sinnfreies. Hochnützlich ist ganz sicher Englisch und die vier Grundrechenarten, sinnfrei z.B. Lyrik und Poesie. Aber: Diese beiden haben wenigstens innere Schönheit und sie quälen niemanden. Vorausgesetzt, von meinem Lyrik-Verständnis hängt keine Versetzungsnote ab, denn viele Jungen 'quälen' sich etwas mit Lyrik - allerdings quälen sich weit mehr Mädchen und Jungen mit für das Alltagsleben völlig sinnfreier höherer Mathematik. Sag mir mal, wann man Prozentrechnen lernt? Sexta? Quinta? Spätestens, würde ich meinen. Und genau da hört es für 99% der Bevölkerung auf, das würde ich gerne mal untersuchen, aber ich bin mir relativ sicher, weil da schon die Fehler anfangen. Das war doch mal eine Frage bei Günther Jauch: wieviel sind 20%? 1/4, 1/5, 1/2 oder 1/20? Und das Publikum wurde befragt, und es waren mehr falsche Antworten (1/20) als richtige (1/5) dabei.

Dreiecksformel a²+b²=c²? Vielleicht gerade noch. Rauminhalt eines Zylinders? Pustekuchen. Wer braucht das schon? Nun, jeder, der eine Regentonne aufstellt und wissen will, wieviel reingeht, aber vor allem, ob die Bretter, auf denen sie steht, das Gewicht überhaupt aushalten. Aber schon das können die wenigsten. Ich will Dir ein Beispiel geben: Als unsere viel zu steile (Keller)Garageneinfahrt zu Gunsten eines Carports mit Beton zugegossen werden sollte, da haben wir sie ausgemessen: 8m lang, 3m breit, unten 2m tief, aber natürlich ansteigend auf 0, auf Strassenniveau, ein Keil also. Wieviel Beton muss da rein in Kubikmetern? Wir, das waren: Bauleiter, Archtitekt, Baustatiker und ich. Und ich wollte das wissen, weil ein Kubikmeter Beton viel Geld kostet und ich's bezahlen musste.

Ergebnis: 8x3 = 24 mal die Mitte zwischen 2 und 0, also 1 = 24 cbm - das hatten wir alle sehr schnell.

24 cbm, das wäre viel Geld gewesen. Ich schlug vor, auf der Hälfte der Strecke ein Mäuerchen zu errichten und nur den flachen Teil des Keils zu verfüllen, den Rest aber mit einer Trägerdecke zu versehen.

Und wieviel cbm sind dann noch nötig für den flachen Teil?

Bauleiter, Archtitekt und Baustatiker tönten unisono: "Na, die Hälfte?", ich hielt dagegen: "Nö, nur ein Viertel, nur 6 cbm". Es hat 3 Minuten gedauert, bis ich es so erklärt hatte, daß alle drei überzeugt waren (der untere Teil besteht aus einem Keil, der genauso groß ist, wie der obere auszugiessende, nämlich von 1 auf 0 Meter ansteigend, und darauf einem Quader, der man sich aus zwei solchen Keilstücken zusammengesetzt denken kann. Es sind also im unteren Teil drei Keile, im oberen einer, ergo ein Viertel).

Wieviele Menschen brauchen im realen Leben höhere Mathematik? Ein paar tausend pro Jahrgangskohorte - vielleicht. Aber wir quälen 750.000 Kinder damit, naja, wenn man die Hauptschüler abzieht, 500.000! Jedes Jahr und für mehrere Jahre. Die Tränen, die wegen einer Mathematik, die nur ganz wenige brauchen, schon geflossen sind, würden den Bodenssee füllen. Und erzähl' mir nicht, man würde damit das logische Denken schulen. Das ist der größte Mist, den ich je gehört habe. Die Anlage für solchermaßen strukturiertes Denken, werden zwischen 2 und 6 Jahren beim Spielen mit Bauklötzen trainiert, genau wie die für Sprache. Und danach kannst Du es vielleicht mühsam lernen, aber es wird immer nur nachgelernt sein, niemals intuitiv richtig wie z.B. die Muttersprache - die Biologie und Hirnscans werden das eines Tages beweisen. Das bedeutet: was ich 13-18-Jährigen in den Kopf klopfe, wird daraus sofort wieder verschwinden, wenn es ungern gelernt wurde und nicht benutzt wird, so wie bei mir das Griechisch und Latein - ich kann es lesen und ausprechen, aber das war's: "andra moi ennepe mousa, polütropon hos mala polla" - wenn ich blos wüßte, was es bedeutet :-)

Aber was wir im täglichen Leben ständig brauchen sollten und was deshalb gebimst werden müsste, bis es jeder verstanden hat: Umfrageergebnisse und Prozentzahlenverhältnisse. Was heisst es, wenn da steht: 30% der über-65-Järigen Katholiken wählen die Grüne Partei? Wieviele sind das wirklich und vor allem: was heisst das, wenn der Satz weiter geht: Das sind doppelt so viele, wie von den 20-25-Jährigen Agnostikern? Unrealistisch? Na dann ein Beispiel, frisch aus den Nachrichten:

Viele Single-Frauen ohne Handy  -  Dienstag 16. Mai 2006, 18:11 Uhr

(cid) - Handy-Telefonate stehen bei weiblichen Singles weniger hoch im Kurs als beim Rest der Deutschen. Nur jede zweite allein lebende Frau (52,7 Prozent) besaß Anfang des Jahres 2005 mindestens ein Mobiltelefon, während es in 76 Prozent der Privathaushalte [...] mindestens ein Handy gab. Das hat jetzt das Statistische Bundesamt mitgeteilt.

Der Handy-Anteil bei den allein lebenden Männern lag übrigens bei 69 Prozent und damit höher als bei den Frauen. Am besten mit Mobiltelefonen ausgerüstet waren Haushalte mit Kindern: in 94 Prozent der Haushalte von Paaren mit Kindern und in 93 Prozent der Haushalte von allein Erziehenden ....

Aha. Da hat der Verfasser so gut wie gar nichts verstanden, was für ein gequirlter Blödsinn. Was stellen wir uns bei weiblichen Singles denn vor? Die aktive 35-Jährige Karrierefrau, oder nicht? Und die soll kein Handy haben? Lachhaft. Denken wir dabei vielleicht an die schwerhörige, schon leicht verwirrte 89-jährige Bewohnerin des Altenpflegeheims Margarethe? Was soll die mit einem Handy? Genau die aber bewirkt die obige Statistik. Und da kann es nicht mehr verwundern, daß das bei den Männern besser aussieht: die sterben ja auch früher, die 'Alten' ohne Handy sind da einfach dünner gesät, und das schlägt sich in den Zahlen nieder. Wenn man die Statistik sinnvollerweise um die Alterskohorte über 65 bereinigen würde, dann dürfte das Ergebnis nicht mehr besonders aufregend ausfallen. Und eine Meldung wäre es ganz sicher nicht geworden, denn daß Omis häufig Singles sind, aber selten ein Handy haben, ja du lieber Himmel, das ist ja nun nicht wirklich eine Zeitungsmeldung wert, oder?

Wir werden immer stärker mit Statistiken beballert, keine Umgehungsstrasse ohne die Entscheidung, wieviel Kilotonnen CO2 damit eingespart, aber wieviel Kröten damit gleichzeitig vernichtet werden. Dazu sollte man erstmal was über die Population der Kröten wissen. Sind 750 tote Kröten im Jahr erwähnenswert, weil es nur 3000 gibt - oder sind sie negligéable, weil es hunderttausende gibt?

Frage an Dich: Was wiegt schwerer, die Regenwürmer oder die Menschen.

Vor einer solch' einfachen Aufgabe hat neulich ein ganzer Tisch voller Akademiker gekniffen. Die wollten noch nicht mal mitrechnen. Dabei ist das kritsche-einfach, wenn man sich traut.

Fangen wir mal an: 10g Regenwürmer pro Quadratmeter - ist das ein sinnvoller Wert? Wieviel sind 100g Regenwürmer? Woher soll man das wissen, bitte? Naja: Regenwürmer sind, wie fast alles Lebende, vor allem aus Wasser. Dann sind 100g etwa ein kleines Marmeladenglas voll. Nur ein Zehntel davon pro qm Boden? Ja sicher, da waren wir uns einig, denn wenn man im Garten gräbt, dann stößt man auf mehr. Also vorsichtig geschätzt 10g / qm.

Die alte BRD hatte mal 275 qkm, hat aber 25% dazugewonnen, hat also ca. 350.000 qkm heute.

10g pro qm, da sind pro qkm? 1000x1000*10 = 10 Mio Gramm oder 10.000 Kilogramm oder 10 Tonnen. 350.000 x 10 = 3,5 Millionen Tonnen Regenwürmer leben in der BRD. Ungefähr. Vielleicht nur eine Million, vielleicht 10 Millionen Tonnen, aber zumindest weiß ich jetzt, mit welcher Größenordnung wir es zu tun haben.

Und Menschen? Wiegen im Schnitt 70 kg, wenn man Kinder mit einrechnet vielleicht 60kg. Mal 80 Millionen = 4800 Mio kg oder 4.800.000 Tonnen - ungefähr gleichviel wie das Gewicht der Regenwürmer - und wehe, es sind 30 Regenwürmer je qm, dann wiegen sie 20 Mio Tonnen, vier mal soviel wie die Menschen.

Ist das wichtig? Frag mal einen Agrar-Biologen: ohne Regenwürmer würde Landwirtschaft anders aussehen:

"Ständig fressen sich die Regenwürmer kreuz und quer durch die Bodenschichten ihres eigenen Lebensbereich. Die dabei aufgenommene Erde enthält [..] Bakterien, Pilzsporen und zahlreiche Einzeller, die verdaut und als Nahrung genutzt werden können. [..] Durch die Beschaffenheit der Erde, die der Regenwurm erzeugt, [...], werden die für den Boden nützlichen Mikroorganismen gefördert und die bodenfeindlichen eingedämmt, z.T sogar vernichtet. [...]

Nach Darwins Berechnung befördern die Regenwürmer in vielen Teilen Englands jährlich auf einem 6 Hektar großen Landstück ein Gewicht von mehr als 25.000 kg Erde an die Oberfläche und bewirken dadurch eine ganz erhebliche Durchmischung der Bodenschichten, wobei der Untergrund mit Humusstoffen angereichert wird." (aus der Wikipedia).

Hmm, und wieviel qm sind nun wieder 6 Hektar? Und wieviel Erde in Prozent seinen Eigengewichts frisst der Regenwurm jeden Tag? Sowas sollte in der Schule geübt werden, also wie man Alltagsfragen einschätzt und sich einen Überblick verschafft, aber wann, bitte sehr, brauche ich denn sowas:

f(x) = 3y - 7x² + x³ - 10  

Berechnen Sie die Nullstellen und die Steigung der Tangente an der Stelle X = 3

Kannst Du mir das verraten? Ich sage es Dir: von 1000 Schülern brauchen das vielleicht 10 im Leben. Und deswegen quälen wir die 990 anderen? Aber eine einfache Frage aus dem Alltag, das können die jahrelang sinnlos gequälten nicht beantworten? Da, mein Lieber, da liegt der Hase im Pfeffer! Und ich behaupte: die Regenwurmfrage schult das logische Denken besser und nachhaltiger, als jeder f(x)-Müll. Nur damit keine Mißverständnisse aufkommen: Nach Aussagen meiner Klassenkameraden war ich der Mathekönig, es sind also nicht meine Tränen, die ich hier beweine. Aber wenn ein junges Mädchen, das - hochbegabt - ansonsten in allen Fächern glänzt, nur wegen einer Mathe, die sie niemals brauchen wird, keinen Studienplatz in Psychologie bekommt, dann ist aber etwas ganz, ganz falsch in unserem System.

Und möge das Gewicht der Regenwürmer auch sinnlos sein, bei anderen Frage wird es schnell sinnvoll: Wieviel Benzin und Diesel wird in der BRD im Jahr verbraucht. Frage 100 Menschen, gib ihnen 5 Minuten Zeit. Ergebnis? Keines. Du könntest daraus eine Jauch-Millionenfrage machen mit bester Chance, daß der Kandidat es nicht rauskriegt. Aber der verdammte Kram ist unser Lebenssaft! Nur mal um zu zeigen, daß auch Hauptschüler sowas können sollten und müßten, wenn es denn geübt würde:

Jeder zweite hat ein Auto, das sollte man wissen. Macht 40 Mio Autos. Jedes Auto fährt wieviel km im Jahr? Was sie selbst fahren, wissen die Leute: 15 bis 20.000 km im Jahr. Wenn sie es nicht wissen: 5 Tage in der Woche zur Arbeit und zurück, macht 250 mal 30 km: 7500 km. Dann noch der große Urlaub und Kurzurlaube, am Wochenende in die große Stadt etc., schon haben wir das doppelte.

Jetzt berücksichtigen wir Rentner, die nur 3-5000 fahren, und dann schätzen wir im Schnitt zwischen 10 und 15.000 - also 12500 - und das stimmt ja auch.

Autos brauchen um die 10 Liter, kleine weniger, große mehr. Also braucht jeder 12.500 / 100 x 10 = 1250 Liter. Oder 150 Euro im Monat nur für Sprit. Alle zusammen: 6 Milliarden Euro im MONAT (40 Mio x 100 = 4 Mrd). Da wird schnell klar, warum keine Regierung die Steuer auf den Sprit senken will: bei 75% Steueranteil (liets man an jeder Tankstelle) sind das nämlich 4,5 Mrd Euro jeden Monat für den Finanzminister; wenn er darauf verzichtet, ist er pleite.

Im Jahr sind es übrigens 50 Mrd Liter resp. 50 Millionen Tonnen - hundert mal mehr, als wir Menschen selbst auf die Waage bringen, verfeuern wir an Erdöl in unseren Autos.

Muss man das wissen? Ohja, das sollte man, wenn es um politische Entscheidungen, z.B. den Umweltschutz betreffend, geht. Die trifft der Wähler, und das sind wir alle. Und Schüler waren wir auch mal alle. Haben wir da sowas gelernt? Nee, aber mit f(x) haben wir unsere wertvolle Zeit totgeschlagen. Daß ich solche Dinge überschlagen kann, das verdanke ich NICHT der Schule, genausowenig wie mein Englisch. Aber das ist ein anderes Kapitel.

Die Lernplanentwerfer sind für mich sowas wie die Architekten des frühen 20ten Jahrhunderts: Es muss immer alles anders werden, weil anders per se besser ist. Also baut man (Bau)Häuser mit den Fetsnern quer und: Flachdächern. Frag mal Praktiker: stehendes Wasser findet IMMER einen Weg - Flachdächer sind einer der kostspieligste Irrtümer der Architektur - jedenfalls überall dort, wo es mehr als 7mm im Jahr regnet. Aber wer hätte je die Archtiekten in Regreß genommen? Zurück zum Lehrplan: You remember "Mengenlehre"? Was für ein modernistisches Debakel. Nach Lern-Effizienz und noch mehr, Anwendungseffizienz schaut aber keiner, niemals. Beim Sprachenlernen ist es ähnlich. Schliemann hat uns vorgemacht, wie man eine Sprache wirklich effizient lernt - und ich habe es mit dem Englischen aus Versehen genauso gemacht. Wenn ich es so gelernt hätte, wie die Schule das wollte, würde ich heute genauso german-englisch radebrechen, wie die meisten von uns das tun. Und vielleicht hätte ich sogar dem Latein und Griechisch was abgewonnen, wenn man nicht unseligerweise versucht hätte, uns mit Vokabeln und Grammatik etwas zu lehren, was Kinder ganz anders begreifen:

Unser Gehirn ist evolutionär darauf getrimmt, aus vielen Einzelfällen Regeln zu abstrahieren und zu entwicklen. Intuitiv wissen wir, wo ein Relativsatz hingehört, weil wir ausreichend Beispiele dafür gehört und im Kopf gespeichert haben. Die eigentliche Regel kann kaum einer von uns benennen, und wir würden sofort stottern und radebrechen, wenn wir erst über die Regel nachdenken müssten, ehe wir Sätze sagen. Warum also lernen wir das so in der Schule? Weil alles seine Ordnung haben muss, und weil das wichtiger ist als Lerneffizienz. Versuch doch mal Kindern Mathe beizubringen und fang mit den Peano'schen Axiomen an (denn das ist die Grundgrammatik jeder Mathematik, nicht wahr?) - Du würdest grandios scheitern.

Schliemann hat es anders gemacht: er hat sich ein Buch in der fremden Sprache gegriffen und hat es auswenig gelernt, seiten- und kapitelweise. Dann hat er es übersetzt, und nach zwei Monaten konnte er die Sprache richtig sprechen. Ich habe es - aus Versehen - mit Englisch genauso gemacht. Ich wollte wissen, was Arlo Guthrie über zwei Schallplattenseiten in "Alices Restaurant" eigentlich sagt, es ist ja ein ganzer Film, der da als "talking blues" erzählt wird. Als wir's rausgehört und niedergeschrieben hatten, hatten wir es hunderte Male gehört - und konnten es auswendig. Ich kann es immer noch, nach 35 Jahren. 30 Minuten Englisch am Stück und ohne Unterbrechung. Seitdem kann ich Englisch.

Aber wie gesagt: das ist ein anderes Kapitel.

Thank you for listening :-)))

Lorenz

(Mai/Juni 2006)


Reaktionen II

Gestern hat mir mein Statistik-Lehrer, dem ich alles verdanke, was meiner PISA-Kritik zugrunde liegt, aufmunternd geschrieben, und das hat mich natürlich besonders gefreut:

Mein lieber Lorenz Borsche!

Nachdem ich Ihnen eine Antwort auf Ihren ersten PISA-Kommentar, wie ich fürchte, schuldig geblieben bin, soll es diesmal nicht so weit kommen!

Ich kann mich kurz fassen: In nahezu allen Punkten - einschließlich der lustigen Ausführungen in Sachen Mathematik im Nachtrag v. 17.5. - stimme ich Ihnen zu. Die so ganz und gar unsoziologische Interpretation der (bei näherem Hinschauen vermutlich an sich schon ziemlich problematischen) PISA- Daten durch unsere Bildungsforscher ist in der Tat haarsträubend. Aber da geht es natürlich nicht um Wissenschaft in einem halbwegs vernünftigen Sinne, sondern um kurzatmige (Tages-) Politik...

Dennoch: Lassen Sie sich nicht beirren. Sie kennen ja Webers Diktum von den dicken Brettern ... Und wie ich höre, haben sich unsere Kultusminister kürzlich in Plön tatsächlich 'intensiv' mit den Migrationskindern beschäftigt; sollte Ihre Botschaft es tatsächlich bereits bis auf die höheren Etagen der Kultusbürokratie geschafft haben???

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